40 Jahre Haller Bach-Tage
Wie alles begann, Artikel von Detlef Hans Serowy
Als Burghard Schloemann Anfang 1963 erstmals "Drei Bach-Tage" mit seiner gerade wenige Monate alten Johanniskantorei in Halle veranstaltete, hatte der ambitionierte Kirchenmusiker sicher nicht die Begründung einer inzwischen 40-jährigen Tradition im Sinn. Der spätere Kirchenmusikdirektor und Professor an der Kirchenmusikhochschule Herford suchte und fand vielmehr ein anspruchsvolles Forum für seine Chöre und sich selbst als Organisten und Dirigenten.
Bereits nach wenigen Jahren waren aus den "Drei Bach-Tagen" die Haller Bach-Tage (1969), war aus bescheidenen Anfängen ein weit über die Grenzen der Lindenstadt Halle bekanntes Klassik-Festival mit ambitionierten Projekten, hochkarätigen Orchestern und Solisten mit einem auf immer höherem Niveau agierendem Laienchor geworden.
2003 leitet Kantor Martin Rieker die 40. Haller Bach-Tage. Kein Jubiläum - aber ein guter Grund, die Geschichte dieses in der Region einmaligen Festivals zu betrachten.
Burghard Schloemann brachte ab 1961 einen kirchenmusikalischen Aufbruch nach Halle. Das Fundament für seine Arbeit hatte Pastor Siegfried Domke gelegt. Auf seiner ersten Pastorenstelle gründete der Theologe 1955 mit viel Enthusiasmus den Kinder- und Jugendchor. Beständig wuchs die musikalische Arbeit und bald war sie nebenamtlich nicht mehr zu leisten. Die guten Leistungen des Jugendchores bewogen das Haller Presbyterium zusätzlich zur Einrichtung der ersten hauptamtlichen Kantorenstelle. "Wir haben Burghard Schloemann in einem Brief nach Italien von Halle vorgeschwärmt, damit er zu uns kommt", berichtete Siegfried Domke vom Werben um den charismatischen Musiker und Komponisten.
Das Konzept
Im Oktober 2001 hatte die Kantorei unter dem Motto "Gott loben, das ist unser Amt" ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert. Auf der Jubiläumsfeier trafen sich mit Schloemann, Domke und Martin Rieker die drei wohl wichtigsten Persönlichkeiten der Haller Kirchenmusikgeschichte seit 1955. Für viele Kantoreimitglieder war das Wiedersehen mit Burghard Schloemann eine Zeitreise zu ihren musikalischen Anfängen und in die Frühzeit der Bach-Tage.
Das "Haller Modell" von Schloemann machte damals nicht nur bundesweit von sich reden, sondern sichert bis heute den Erfolg der kirchenmusikalischen Arbeit in der Lindenstadt. Auf Basis einer breiten Kinder- und Jugendarbeit führte der Kantor dabei Laiensänger schrittweise an Konzerte mit höchsten Schwierigkeitsgraden heran.
"Die Haller Bach-Tage sollen immer das Ergebnis kirchenmusikalischer Breitenarbeit sein und nicht die mehr oder weniger willkürliche Einrichtung einer kulturellen Institution", beschrieb Burghard Schloemann 1976 sein Konzept. Es handele sich nicht um einmalige, rasante Großveranstaltungen, sondern um das kontinuierliche Bemühen, das Unten und Oben der Kirchenmusik, das einfache Singen der Gemeinde mit der "großen Musik" zusammenzubringen.
Nicht nur das "Haller Modell" sorgte in den 60er und 70er Jahren für ein lebhaftes und überregionales Medienecho. Schloemanns Programmgestaltung war risikofreudig und setzte Schwerpunkte bei zeitgenössischer Musik. Beispiele hierfür sind die Uraufführung von Johann Nepomuk Davids Choralwerk XVI 1968, die "Stillung des Sturms" beim 21. Internationalen Heinrich-Schütz-Fest in Herford 1969, Gottesdienste mit Neuer Kirchenmusik (darunter viele Stücke von Schloemann selbst) sowie Gesprächskonzerte mit Karl-Heinz Stockhausen, Mauricio Kagel, Siegfried Palm, Alfons Kontarsky, Vinko Globokar, Anne Marie Höller und Hans-Werner Henze
Aufbruch in eine neue Zeit
Der "Vater" der Bach-Tage folgte 1982 dem Ruf als Dozent für Tonsatz und Komposition an die Westfälische Landeskirchenmusikschule in Herford. Für die Kantorei und für die Bach-Tage begannen stürmische Zeiten. Nicht weniger als vier Chorleiter kamen und gingen, bevor Martin Rieker 1987 die A-Stelle in Halle übernahm. Die Bach-Tage wurden zuvor von Matthias Nagel, zweimal unter der Leitung von Dr. Martin Blindow und von Udo R. Follert fortgeführt. Höhepunkt in Follerts Amtszeit war die Wiederaufführung des Oratoriums "Christus" von Friedrich Kiel, bei der er den Bach-Chor der Johanneskantorei und die Kölner Philharmoniker zu Glanzleistungen beflügelte.
Mit Martin Rieker begann eine neue Ära der Kantorei und damit auch der Bachtage. Er führte im Chor ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl und einen völlig neuen Arbeitsstil ein. Damit konnte der Kirchenmusikdirektor das in der Zeit nach Schloemanns Weggang stark verunsicherte Ensemble wieder stabilisieren und auf große Aufgaben vorbereiten. Als ersten absoluten Höhepunkt führte die Kantorei 1991 unter seiner Leitung die "Marienvesper" von Monteverdi auf. Rieker öffnete das Festival für publikumswirksame Veranstaltungen und zeigte eine gute Hand bei den Bach-Tage-Themen.
Wie seinem Vorgänger Burghard Schloemann gelang es dem nebenamtlichen Dozenten an der Kirchenmusikhochschule Herford, bedeutende Interpreten und Ensembles für die Bach-Tage zu verpflichten. Stellvertretend seien hier Thomas Quasthoff, Maria Venuti, Emma Krikby, Klara Flieder, James Taylor und Peter Lika genannt. Seit 1994 gibt es ein "Gesprächskonzert für Kinder" und seit 1997 ein "Konzert für Kinder". 2002 wurde mit 540 Besuchern ein Rekord beim Kinderkonzert aufgestellt.
Das "Haller Modell" funktioniert offenbar immer noch. Zur festen Säule der Bach-Tage wurde die neue Heintz-Orgel in der St. Johanniskirche, die 1992 maßgeblich nach den Vorstellungen des gelernten Orgelbauers Rieker gebaut wurde und seither regelmäßig bedeutende Interpreten in die Lindenstadt zog. Der schöne Klang des in der Region einzigartigen Instruments begeistert Publikum und Künstler gleichermaßen.
Für viele Musikfreunde und Mitglieder der Haller Johanniskantorei sind die Bach-Tage der musikalische Höhepunkt ihres Jahres. Hier stellt der Chor immer wieder sein Leistungsvermögen unter Beweis, ernten Sängerinnen, Sänger und Kantor den Lohn für ihren Probenfleiß. Hier erleben die Kirchenmusikfreunde regelmäßig kulturelle Sternstunden, die über den Tag hinaus nachklingen. So markieren die Bach-Tage in jedem Jahr wieder einen Aufbruch in Halle - und vollziehen damit den Aufbruch nach, den Burghard Schloemann vor 40 Jahren in die Lindenstadt brachte.